Verteidiger im Visier – Nuremberg & Region

VON ULRIKE LÖW

NÜRNBERG – Eren Keskin kämpft seit mehr als 30 Jahren für Grundrechte und Frieden in der Türkei. Sie ist Trä- gerin des Amnesty Menschenrechts- preises. Doch im regierungstreuen Fernsehen in der Türkei wird sie als Landesverräterin bezeichnet. Als Anwältin und Verteidigerin der Men- schenrechte setzt sie sich für die Pres- sefreiheit ein und versucht jenen juristisch zu helfen, deren Stimme unterdrückt werden soll: Minderhei- ten, Personen aus der Queer-Commu- nity, aber auch vergewaltigten Frau- en. Ihr Engagement wird in dem Land mit Morddrohungen quittiert.

Wie so weit kommen konnte, warum sie als Staatsfeindin gilt und in der Türkei 140 Strafverfahren gegen sie vorliegen, ist am 24. Januar 2024 in dem bewegenden Dokumen- tarfilm „Eren“ zu sehen: Gezeigt wird er im Cinecittà zum „Tag des verfolg- ten Anwalts“. Rechtsanwälten wie ihr ist dieser Gedenktag gewidmet.

Unbegründete Verhaftungen

Vor 14 Jahren, am 24. Januar 2010, protestierten Juristen in ganz Europa gegen unbegründete und rechtswidri ge Verhaftungen sowie gegen die Behinderung von Anwälten bei der Ausübung ihres Berufs. Sie erinner- ten mit ihrer Aktion daran, dass im Jahr 1977 an diesem Tag in Madrid vier spanische Gewerkschaftsanwäl- te von Neofaschisten ermordet wur- den und riefen den Tag des verfolg- ten Anwalts ins Leben.

Seit 2015 stellt die Nürnberger Juristengruppe bei Amnesty Interna- tional als Veranstalter an diesem Tag eine Kultur- und Vortragsveranstal- tung auf die Beine und macht auf das Schicksal verfolgter Juristen aufmerk- sam. Und diese kommen nicht immer aus „Schurkenstaaten“.

In vielen Teilen der Welt werden Anwälte aus politischen Gründen ver- folgt und gefoltert – denn natürlich sind Anwälte für Unrechtsregime gefährlich und unangenehm, weil sie sich auf Rechte berufen, die Regime zwar stolz vor sich hertragen, aber nicht anwenden. Zuletzt richtet sich die Aufmerksamkeit der Veranstalter jedoch auf die Bedrohung im Inland: Im Jahr 2020 war die Rechtsanwältin Seda Basay-Yıldız aus Frankfurt zu Gast, die in Deutschland Polizei- schutz benötigt.

Sie hatte im NSU-Verfahren die Familie des Mordopfers Enver Şim- sek vertreten, er war das erste Opfer der NSU-Mordserie. Er wurde am 9. September 2000 an seinem mobilen Blumenstand in Nürnberg niederge- schossen.

In diesem Jahr blicken die Veran- stalter in die Türkei: Regisseurin Maria Binder erzählt in ihrem Doku- mentarfilm „Eren“ einiges über Unterdrückungsmechanismen: Als die Anwältin Eren Keskin aussprach, dass Polizisten in der Türkei sexuali- sierte Folter gegen Frauen anwen- den, wurde sie als Verräterin be- schimpft. Heute schweben etwa 140 Strafverfahren wie ein Damokles- schwert über ihr, meist wird ihr

„Beleidigung des Türkentums, der Republik und der Institutionen und Organe des Staates“ vorgeworfen.

Ihr droht lebenslange Haft, weil ihr Sinn für Gerechtigkeit nicht schwindet und sie immer wieder an den Fundamenten des türkischen Staats rüttelt. Wieviel Zeit ihr in Frei- heit bleibt, weiß sie nicht. Jeden Moment kann sie hinter Gittern ver- schwinden. Doch Eren Keksin ist nicht nur optisch eine Erscheinung. Ihre Haltung ist unerschütterlich. Sie harrt in ihrer Heimat aus, obwohl ihr zwei europäische Konsulate Zuflucht angeboten haben.

Berüchtigter Artikel 301

Die strafrechtlichen Vorwürfe gegen sie beziehen sich meist auf den berüchtigten Artikel 301 des tür- kischen Strafgesetzbuches. Die Euro- päische Kommission und das Euro- päische Parlament sehen in dieser Rechtsvorschrift die Meinungsfrei- heit in der Türkei eingeschränkt und nicht im Einklang mit der Rechtspre- chung des Europäischen Gerichts- hofs für Menschenrechte.

Eingeleitet wird der Film von Gruß worten: Beginn ist um 18.30 Uhr, sprechen wird die Nürnberger Rechts- anwältin Christine Roth, sie ist eine der Organisatorinnen des Abends. Auch Uwe Wirsching, Präsident der Rechtsanwaltskammer Nürnberg, hat sein Kommen zugesagt, und nach dem Film findet ein Publikums- gespräch mit der Regisseurin Maria Binder und Andrea Kuhn, der Leite- rin des Nürnberger Filmfestivals der Menschenrechte, statt.