„Sie können uns Folterer nennen“, zitiert Eren Keskin einen Polizisten. „Aber niemals dürfen sie uns Vergewaltiger nennen.“ Weil Sexualität in der Türkei wie in vielen islamischen Ländern ein Tabu ist. Sexuelle Gewalt als Folter wird dennoch eingesetzt. Eren Keskin ist eine Anwältin und Menschenrechtsverteidigerin, die sich seit mehr als drei Jahrzehnten für Grundrechte, aber auch den Frieden einsetzt. Sie streitet für Minderheiten und Frauen und offenbart immer wieder einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Der verzweifelt wiederum an einem Land, in dem schnell jemand mit absurden Anklagen zum Staatsfeind erklärt wird.
Im Lauf ihrer Karriere wurde Keskin mehrfach verhaftet und inhaftiert. Mehr als 140 Strafverfahren wurden gegen sie eröffnet, aber die Trägerin des Amnesty Menschenrechtspreises ließ sich niemals einschüchtern. Das zeigt die Regisseurin Maria Binder („Trans X Istanbul“) auf eindringliche Weise. Sie erzählt von Keskins Vergangenheit, vor allem aber begleitet sie sie. Bei Gesprächen mit Mandanten wie der Transfrau, die von den Nachbarn und der Justiz gegängelt wird. Oder aber auch beim Vorbereiten neuer Verteidigungen oder Klagen und auf dem Weg zum Gericht.
Ein bisschen mutet es an, als würde man Sisyphus zusehen, wie er den Stein den Berg hochrollt und dann zusehen muss, wie er wieder runterrollt. So erscheint auch Eren Keskins Bemühen, ihr Land ein klein wenig besser zu machen. Sie ist dem System ein Dorn im Auge, und ihr droht, wie so vielen, eine lebenslange Haft. Jederzeit könnte sie verschwinden. Internationale Bekanntheit und Unterstützung sind kaum noch ein Schild, um davor gefeit zu sein.
Die Anwältin erzählt von den Repressionen, die sie erfahren hat, als sie den Anführer der PKK vertrat. Morddrohungen wurden gegen sie ausgesprochen, Freunde und Verwandte brachen den Kontakt ab, aber Eren Keskin geht immer unberührt weiter. Weil sie weiß, dass sie im Recht ist. Es mag ihr jetzt nicht zugestanden werden, in den Geschichtsbüchern wird sie jedoch dereinst auf der richtigen Seite stehen. Ihr bei ihrem Wirken zuzusehen, ist inspirieren. Weil man hier einen Menschen mit enormem moralischem Kompass und der nötigen Passion vor sich hat, sich gegen alle Widerstände für das einzusetzen, was richtig ist.
Das macht „Eren“ zu einem wichtigen Film. Man fürchtet nur, dass er dort, wo er gesehen werden sollte, gar nicht wahrgenommen werden wird …
Peter Osteried